„Deal“, nur dieses eine Wort twitterte der EU- Ratspräsident Michel, als sich zu Beginn des fünften Tages des EU- Sondergipfels die Teilnehmer geeinigt hatten. Nach langem Feilschen hatten sie einen Kompromiss ausgehandelt beim EU- Budget für die nächsten sieben Jahre und beim Corona- Wiederaufbaufonds. Das EU- Budget wurde aufgeblasen auf 1.074 Milliarden und der Coronafonds wurde mit den vorgeschlagenen 750 Milliarden fixiert. Und jetzt wird fast nur gejubelt, alle Politiker sind anscheinend zufrieden, alle fühlen sich offensichtlich als Sieger. Diesen Eindruck hat man zumindest, wenn man die gängigen Medien durchblättert oder deren Webseiten besucht. Sind wirklich alle zufrieden mit dem Deal, gibt es tatsächlich kaum Kritik? Nun; bei der Opposition im Parlament hält sich die Begeisterung in Grenzen. Die Opposition kritisiert die von Kanzler Kurz erreichten Zugeständnisse als zu wenig europäisch oder auch, dass österreichische Interessen nicht durchgesetzt wurden. Kanzler Kurz sagte nach dem Gipfel: „Wir haben ein gutes Ergebnis erreicht für die Europäische Union und wir haben ein gutes Ergebnis erreicht für die Republik Österreich“. Diesen Satz werden die anderen Gipfelteilnehmer mehr oder weniger gleichlautend für ihr Land vor den heimischen Medien auch sagen.
Zum verkündeten guten Ergebnis für Österreich zählt auch, dass der österreichische Rabatt auf den EU- Beitrag von 137 Millionen pro Jahr jetzt für den Zeitraum von 2021 bis 2027 auf 565 Millionen pro Jahr erhöht wurde. Das ist eine Erhöhung um 428 Millionen pro Jahr oder ein Gesamtrabatt über die 7-jährige Laufzeit des EU- Budgets in Höhe von fast 4 Milliarden Euro. Eine gewaltige Summe; das ist richtig. Aber leider wurde der jährliche EU- Beitrag Österreichs auch wesentlich erhöht, und zwar von 3,1 Milliarden im Jahr 2019 auf 4,4 Milliarden, wie das Finanzministerium errechnet. Das wäre eine Erhöhung von 1,3 Milliarden pro Jahr bzw. von mehr als 9 Milliarden über die Dauer des ausgehandelten Budgets. Diese ernüchternde Tatsache sucht man in den Jubelarien zum „Deal“ natürlich vergebens. Dabei kann es noch schlimmer kommen. In einem Gratisblatt heißt es: „… Laut Diplomaten könnten die Beitragszahlungen sogar 5,4 Milliarden Euro (incl. Rabatt) erreichen, wenn Rückzahlungen für den Corona- Hilfsfonds eingerechnet werden“. Noch immer Grund zum Jubeln? Man hört übrigens kein Wort mehr davon, dass Kanzler Kurz einmal bezüglich des jetzt ausgehandelten EU- Budgets sagte: „Wir werden nicht mehr zahlen als bisher“.
Ein Ergebnis des Gipfels, welches von Kurz wesentlich mit beeinflusst wurde, war die Aufteilung des 750 Milliarden schweren Corona- Hilfsfonds. Die ursprüngliche Forderung, nämlich 500 Milliarden als „Geschenke“ verteilen und 250 Milliarden als Kredite vergeben, wurde etwas abgeschwächt. Jetzt werden „nur“ 390 Milliarden verschenkt ( „nicht rückzahlbare Zuschüsse“) und 360 Milliarden gibt es als Kredite. Österreich muss für diesen Hilfsfonds bis zum Jahr 2058 Haftungen in Höhe von 10,8 Milliarden übernehmen. Dafür bekommt Österreich 3,7 Milliarden aus dem Hilfsfonds; als Kredit, nicht als Geschenk. Dieses Geld könnte sich Österreich ohne EU auch besorgen, z. B. als Staatsanleihe. Bei all dem Jubel – oder auch nicht – über den jetzt abgeschlossenen 1.824 Milliarden schweren „Deal“ soll aber eines nicht verdrängt werden: Schon im April wurde ein Teil der EU- Coronahilfe, nämlich das 540 Milliarden schwere Paket für Corona- Kredithilfe für die Rettung von Kurzarbeiter- Arbeitsplätze, Unternehmen und Staaten von der EU beschlossen. Dafür müssen von den EU- Staaten insgesamt 50 Milliarden an Garantien hinterlegt werden, somit auch von Österreich. Davon wird nicht mehr gesprochen, ist ja schon Vergangenheit. Ja, und die 750 Milliarden des Wiederaufbaufonds werden von der EU als Kredite aufgenommen und weitergereicht. Damit hat die EU – wieder einmal – eine ihrer Regeln gebrochen. Aber die EU, so scheint es, beschließt ja Regeln, um sie brechen zu können. Für die Rückzahlung des Fonds werden jetzt erstmalig auch EU- Steuern eingeführt. Damit die EU- Staaten nicht so stark belastet werden, heißt es. Tatsächlich dürfte es darum gehen, dass sich die EU- Kommission mit eigenen Einnahmequellen von den Mitgliedsstaaten unabhängig machen bzw. diesen Kompetenzen entziehen will. Und wer jetzt immer noch der Meinung ist, dass es bei den Verhandlungen über diese unvorstellbaren Summen nur Gewinner gibt, irrt gewaltig. Es gibt Abermillionen von Verlierern, nämlich die Steuerzahler und vornehmlich jene der Nettozahler- Staaten. Diese Wahnsinnssummen müssen ja zurückgezahlt werden. Nicht nur die Schulden des jeweiligen Staates, wie z. B. Österreich, sondern in Zukunft auch die Schulden der EU.
Einen interessanten Vergleich zu dem 1,8 Billionen- Finanzpaket brachte übrigens die schon erwähnte Gratiszeitung; sie schrieb: „Mit dieser Summe könnte das Spielfeld des Ernst- Happel- Stadions 5,62 Meter hoch mit 500- Euro- Scheinen bedeckt werden“.