Es gab weltweit schon viele schreckliche Explosionen. Es flogen Munitionsfabriken in die Luft oder Munitions- und Waffenlager oder Feuerwerksfabriken. Das waren keine durch kriegerische Handlungen oder Terrorakte verursachte Katastrophen. Da handelte es sich um Fahrlässigkeit von Menschen oder technische Gebrechen. Bei der unvorstellbaren Explosion von Beirut, bei der mehr als 2.700 Tonnen Ammoniumnitrat im Umkreis von Kilometern alles zerstörten und einen mehr als 40 Meter tiefen Krater rissen, sind die Gründe nicht klar, ist noch alles offen. Eine technische Panne scheidet eher aus, da das Material nur gelagert wurde, und das schon seit Jahren. Der libanesische Präsident vermutet „Fahrlässigkeit“, schließt aber auch ein „Eingreifen von außen mit einer Rakete oder Bombe“ als mögliche Ursache nicht aus. Der Präsident ist auch gegen eine internationale Untersuchungskommission. Seiner Meinung nach würde eine solche Untersuchung „die Wahrheit verwässern“.
Sind das kranke Hirngespinste, Verschwörungstheorien? Nein, nicht unbedingt. Der Libanon hat das Kriegsland Syrien als Nachbarn, aber auch Israel. Und im Libanon ist die Hisbollah. Die wird als islamistisch- schiitische Partei und Miliz angesehen, die den Libanon politisch und militärisch mehr oder weniger unter Kontrolle hat. Und die Hisbollah wird massiv vom Iran unterstützt und spielt im Syrien- Krieg eine nicht zu unterschätzende Rolle. Wenn man jetzt eins und eins zusammenzählt, das heißt, wenn man Folgendes bedenkt: Die Hisbollah im Libanon ist als politische Macht ein Nachbar von Israel. Die Hisbollah als militärische Macht kämpft in Syrien auf Seiten von Präsident Assad gegen internationale Söldner und Terroristen und kommt somit wieder vor die Grenzen Israels. Das ist nicht unbedingt im Sinne von Israel. Die Hisbollah wird vom Iran, dem Erzfeind Israels, massiv unterstützt. Das ist klar gegen die Interessen Israels. Dass Israel immer wieder mehr oder weniger massive Militärschläge in Syrien verübt, meist gegen Stellungen oder Stützpunkte der Hisbollah oder iranischer Milizen, ist bekannt. Dass Israel auch „vorbeugend“ immer wieder im Iran militärisch und geheimdienstlich aktiv ist bzw. war, gegen Atomanlagen z. B. vorgeht (Stichwort: Computerwurm „Stuxnet“) oder gegen Atomphysiker, ist kein Geheimnis. Und wenn da mehr als 2.700 Tonnen eines potentiellen Sprengstoffes irgendwo in der Nachbarschaft Israels gelagert sind und jemand darüber nachdenkt, dass dieses Zeugs möglicherweise in Form von Raketen oder Bomben gegen Israel eingesetzt werden könnte – ja, dann könnte alles undenkbar Scheinende passieren. Zumal es ja heißt, dass dieses Zeugs nicht „einfach so“ zur Explosion zu bringen ist.
Bei solchen Überlegungen kann man die Vermutungen des libanesischen Präsidenten verstehen, ergeben sie einen Sinn.
Nachtrag vom 10. 8. 2020:
Wie in mehreren Medien zu lesen war, z. B. auf „bernerzeitung.ch“, hieß es letztens von der libanesischen Regierung: „Wir nehmen keine Hilfe von einem feindlichen Staat an“.