Es gibt kaum eine Zeitung, kaum eine TV- Station, welche nicht darüber berichtet und auch viele Webseiten schreiben darüber. Gemeint ist das Ergebnis einer Schweizer Volksabstimmung am 27. September. Abgestimmt wurde über mehrere Anliegen, aber eine der einzelnen Abstimmungen ist aus EU- Sicht besonders interessant und darüber wird eben berichtet, teilweise sogar mit absolut wortgleichen Artikeln. Diese Abstimmung nannte sich: Volksinitiative „Für eine maßvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)“. Für diese von der SVP (Schweizerische Volkspartei) angestrebte Volksinitiative wurde eine Wahlbeteiligung von knapp 60 Prozent erreicht, es gab aber nur eine Zustimmung von etwas mehr als 38 Prozent. Die Vorlage wurde somit abgelehnt. Es ging bei dieser Volksinitiative nicht, wie von mehreren Medien (bewusst oder unbewusst?) gemeldet wurde, um eine generelle Begrenzung der Zuwanderung in die Schweiz, sondern nur um EU- Bürger. Es ging darum, ob die Schweiz die Personenfreizügigkeit mit der EU beenden soll, weil diese zu einer Massenzuwanderung führe. EU- Bürger haben ja unter bestimmten Voraussetzungen das Recht – und haben es nach dieser Abstimmung weiterhin – sich in der Schweiz niederzulassen und dort zu arbeiten.

Bundesrat und Parlament lehnten die Initiative ab, weil sie Arbeitsplätze und Wohlstand aufs Spiel setze, wie erklärt wurde. Tatsache ist aber, dass wesentlich mehr EU- Bürger sich in der Schweiz niederlassen wollen als umgekehrt und das nicht nur zum Nutzen der Schweiz ist. Allerdings gehört das sogenannte Personenfreizügigkeits- Abkommen zu einem Paket mit sieben Verträgen zwischen der Schweiz und der EU. Das ist das Bilaterale Abkommen 1. Diese Verträge sind miteinander verknüpft. Wäre jetzt das Personenfreizügigkeits- Abkommen von der Schweiz gekündigt worden, dann wären die anderen sechs Verträge ebenfalls weggefallen; mit gravierenden Nachteilen für die Schweiz. Diese Verträge sind nämlich die „Türöffner“ für den Zugang der Schweiz zum EU- Markt. Das Aus für das Freizügigkeits- Abkommen wäre also zugleich das Aus für den Zugang zum EU- Markt gewesen. Das wäre ein schwerer Schlag für die Wirtschaft der Eidgenossen gewesen. Man kann diese Vorgangsweise der EU als Erpressung sehen oder auch nicht. Die Schweiz wird jedenfalls seit Jahren schon von der EU massiv unter Druck gesetzt. Da geht es nicht um „die Werte“, da geht es nur um Interessen. De jure ist die Schweiz kein EU- Staat, de facto ist der Unterschied nicht mehr groß. Die Schweiz gehört z. B. seit Ende Oktober 2004 auch zum Schengen- Raum und die Schweiz musste auch viele EU- Vorgaben akzeptieren.

Die Mentalität der EU zeigte sich mehr als deutlich 2014 bei einer Volksabstimmung in der Schweiz zum Thema „Gegen Masseneinwanderung“. Da ging es um die generelle Massenzuwanderung und nicht (nur) um Zuwanderung aus der EU. Diese Volksabstimmung wurde knapp mehrheitlich angenommen und Parlament und Regierung in der Schweiz waren verpflichtet zu handeln. Die EU tobte. Ein EU- Parlamentarier namens Elmar Brok plusterte sich auf, sprach: „Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen“, irgend ein Niemand in Brüssel forderte ernsthaft, dass die Schweizer die Abstimmung wiederholen sollen. Bis der Antrag abgelehnt wird, bis die Abstimmung der EU passt. Und der damalige französische Außenminister Laurent Fabius nannte das Votum gar „besorgniserregend“ und kündigte an, dass Frankreich „die Beziehungen zur Schweiz überprüfen“ werde. An all das werden sich die Schweizer noch erinnern und vielleicht auch deswegen jetzt gegen die Initiative „Für eine maßvolle Zuwanderung“ gestimmt haben. Das Ergebnis hatte also mehr mit wirtschaftlichen Überlegungen zu tun als mit der „Liebe zur EU“, wie ein Kommentator meinte.

P. S.: Warum sind für die Regierung verpflichtende Volksabstimmungen in der Schweiz ganz normal, in Österreich z. B. aber undenkbar und warum will die Politik in Österreich dem mündigen Bürger (ist er noch mündig oder schon entmündigt?) keine Volksabstimmungen zugestehen und was ist in Österreich mit der oft gepriesenen direkten Demokratie?