Vor langer Zeit hieß es in Frankreich: „Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder“. Heute ist man in Österreich versucht, in abgewandelter Form ähnliches zu sagen, etwa: „Die Justiz frisst ihre eigenen Leute“ oder : „Die Politik frisst ihre eigenen Leute“. Wie das? Beim Ibiza- Untersuchungsausschuss geht es ja schon lange nicht mehr so richtig um die Details, die direkt mit dem Ibiza- Video zu tun haben oder zumindest im Umfeld des Videos. Man hört nichts über die „Oligarchen- Nichte“, man hört nichts über „Anwalt Ramin M.“, man hört nichts über Verstrickungen der Präsidentschaftskanzlei. Beim Ibiza- U- Ausschuss hat sich in letzter Zeit alles verlagert in Richtung Geldflüsse, illegale Spenden, Postenschacher, Korruption. Da ist deswegen jetzt der Finanzminister in arger Bedrängnis, musste sogar eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Da geht es aber auch um hohe Spitzenbeamte im Finanz- und Justizministerium, um einen Ex- Finanzminister, um einen ÖBAG- Mann und auch der Name des werten Kanzlers Kurz wird in dem Zusammenhang des öfteren erwähnt. Die ganze Geschichte spielt sich also längst nicht mehr auf dem Niveau des U- Ausschusses ab, sondern auf wesentlich höherem Level. Es sind längst die Ermittler der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) aktiv und die Gerichte. Und wenn dann sogar die Verfassungsministerin Edtstadler, eine gelernte Juristin, in den Ring steigt und Kritik übt an der WKStA wegen deren Vorgangsweise, dann dürfte wirklich Feuer am Dach sein. Dass diese Kritik wiederum Kritiker auf den Plan rief, war zu erwarten.
Jetzt folgte der nächste Donnerschlag: Ex- Justizminister Brandstätter – aktuell ist er Richter am Verfassungsgerichtshof – und Pilnacek – er ist Sektionschef im Justizministerium – werden als Beschuldigte geführt, bekamen ungewöhnlichen Besuch von der Staatsanwaltschaft und mussten elektronische Geräte abgeben. Der Vorwurf gegen die beiden hohen Staatsdiener lautet, sie hätten eventuell Details aus einem Strafverfahren weitergegeben, also Verletzung des Amtsgeheimnisses. Da kann man gespannt sein, wie das weitergeht, was da noch kommt und wie die Sache am Ende ausgeht. Ob die Vorwürfe berechtigt sind oder ob da jemand mit der ÖVP oder Teilen der ÖVP noch eine Rechnung offen hat. Ob das etwa ein Machtkampf des linken Lagers oder Teilen der linksorientierten Justiz gegen die nicht ganz linke, aber auch nicht besonders rechte ÖVP ist.
Zur Verletzung des Amtsgeheimnisses: Wenn ein Richter, ein Justizbeamter etc. Aktenbestandteile weitergibt, ist das – zu Recht – ein Straftatbestand. Wenn aber aus demselben Akt, aus einem laufenden Verfahren, plötzlich Details in den Medien auftauchen, scheint das zulässig zu sein. Wie oft kann man sich als Leser, Zuhörer, Zuseher, nur wundern über Berichte, zu denen es heißt: „… aus vertraulichen Unterlagen …“, „…wie wir aus sicherer Quelle erfahren haben …“, „… was uns anonym zugespielt wurde…“ Da spricht kein Mensch von einem Straftatbestand. Dabei ist als sicher anzunehmen, dass diese Informationen gestohlen, ge- oder verkauft oder jedenfalls illegal beschafft bzw. weitergegeben wurden. Anscheinend ist das legal.