Es gab ja schon lange einen Eiertanz um die Frage: Bleibt die ungarische Regierungspartei Fidesz weiterhin Mitglied in der konservativen EVP, der Europäischen Volkspartei, oder tritt sie freiwillig aus oder wird sie hinausgeworfen? Jetzt zog der ungarische Ministerpräsident Orban einen Schlussstrich unter die Streitereien und verkündete den „sofortigen“ Austritt von Fidesz aus der EVP. Die EVP unter Führung des Deutschen Manfred Weber – genau; das ist der, der vor der letzten EU- Wahl im Jahr 2019 der offizielle Kandidat für den neuen EU- Kommissionspräsidenten war. Nach der Wahl konnte sich in Brüssel niemand mehr daran erinnern und die deutsche Kanzlerin Merkel zauberte dann – simsalabim – ihre Freundin Ursula von der Leyen als EU- Kommissionspräsidentin aus dem Hut – ist jetzt mit 175 Stimmen im EU- Parlament immer noch die stärkste Fraktion, aber die 12 Stimmen der ungarischen Volksvertreter fehlen bei Abstimmungen trotzdem. Zumal man ja noch nicht weiß, welcher Fraktion im EU- Parlament sich die Ungarn anschließen werden. Das könnte z. B. die ID (Identität und Demokratie) sein, bei der auch die österreichische FPÖ oder die italienische Lega Mitglieder sind und die bisher insgesamt 74 Stimmen hat. Oder die EKR (Europäische Konservative und Reformer), zu denen die polnische Regierungspartei PiS gehört. EKR hat bis jetzt 63 Stimmen. Momentan sind die Fidesz- Leute im EU- Parlament jedenfalls (noch) bei den Fraktionslosen, aber bei denen werden bzw. können sie kaum bleiben.
Der Streit zwischen der EU- Kommission bzw. dem EU- Parlament und Ungarn schwelt ja schon Jahre. Da ging es immer wieder um den Vorwurf der Einschränkung demokratischer Grundrechte in Ungarn durch die Regierung. Die EU startete mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn. Es sollte geprüft werden, „ob Ungarn Gefahr läuft, die Grundwerte der Union zu verletzen“. EU- Abgeordnete fürchteten um die Unabhängigkeit der Justiz, Meinungsfreiheit. Korruption, Rechte von Minderheiten und – ganz wichtig – die Situation von Migranten und Flüchtlingen. Gerade im Umgang mit Migranten und Flüchtlingen sahen viele EU- Parlamentarier, aber auch NGO´s, immer wieder Grund zur Kritik. Auch der Streit zwischen der ungarischen Regierung und dem ungarisch- stämmigen US- Milliardär George Soros – auch da geht es im Hintergrund auch um Massenmigration nach Europa – wird von der EU nicht gern gesehen. Dass im Zuge dieses Streits die Soros- Universität CEU Budapest verließ und dank Sebastian Kurz in Wien eine neue Heimat fand, nur so nebenbei.
Mit Vertragsverletzungsverfahren und ähnlichen Maßnahmen schaffte es die EU nicht, die ungarische Regierung auf den rechten Weg, der in dem Fall eigentlich ein linker ist, zurückzubringen. Also mussten andere, wirksamere Mittel und Wege gefunden werden. Und da z. B. auch der österreichische ÖVP- Mann im EU- Parlament und einer der 14 Vizepräsidenten des EU- Parlaments, Othmar Karas, schon lange gegen Ungarn geiferte und giftete, rannte er jetzt beim EU- Parlament offene Türen ein. Karas forderte ja schon lange, Fidesz aus der EVP zu werfen und auch, widerspenstige Länder, die eine eigene Meinung vertreten, über das Geld zu bestrafen. Ihnen zum Beispiel EU- Mittel zu streichen so nach dem Motto: Wer nicht nach unserer Pfeife tanzt, verdient unser Geld nicht. Und um Fidesz aus der EVP werfen zu können, wurde mit großer Mehrheit eine Änderung der EVP- Geschäftsordnung beschlossen. Diese Änderung bietet jetzt die Möglichkeit, nicht nur einzelne Abgeordnete, sondern ganze Parteien wegen „Verstößen gegen die EU- Grundwerte“ z. B. aus der Fraktion auszuschließen. Dem kam Viktor Orban mit einem Schreiben an den EVP- Fraktionschef Manfred Weber zuvor. Er schrieb kurz und bündig: „Ich informiere Sie hiemit, dass die Fidesz- Europaabgeordneten ihre Mitgliedschaft in der EVP beenden“. Orban bezeichnete die auf Ungarn zugeschnittene Änderung der EVP- Geschäftsordnung als einen „feindlichen Akt“.
Die ehrenwerte EU- Kommission und auch das EU- Parlament schreckt vor nichts zurück, unliebsame Mitglieder zu beugen und wenn es sein muss, zu brechen. Dazu ist jedes Mittel recht; ob das jetzt den immer wieder betonten „Werten“ entspricht oder nicht. Was nicht passt, wird passend gemacht. Wer nicht mitspielt, fliegt hinaus. Es sollte eine Strafaktion gegen Ungarn werden und eine Warnung an andere Länder und Parteien. Orban hat aber Weber und Co. diesen Sieg verwässert, ist mit seiner Delegation gerade noch rechtzeitig ausgetreten. Die jetzige Vorgangsweise bestätigt auch wieder einmal, dass die Werte, wie sie Ungarn hochhält, in der EU ein absolutes „No- Go“ sind. Es sind dies konservativ, christlich, patriotisch. nationalität nicht aufgebend, Traditionen hochhaltend.
Die Änderung der Geschäftsordnung bietet aber noch mehr Möglichkeiten, in Ungnade Gefallene zu bestrafen. Es ist in Hinkunft möglich, ganzen Ländergruppen von Abgeordneten die Stimmrechte, aktives und passives Wahlrecht und die Nominierung für wichtige politische Ämter in der EU zu verweigern. Das ist eigentlich eine Verletzung oder Beugung grundsätzlicher rechtlicher Prinzipien, das geht schon in Richtung Willkür, das hat mit Werten und demokratischen Regeln und auch mit Meinungsfreiheit nicht mehr viel zu tun. Aber die EU hat sicher Leute, die diese Sauerei schönreden werden.