Zwischen der EU- Kommission und den EU- Staaten Polen und Ungarn – beide gehören übrigens zu den Visegrad- Staaten – schwelt schon lange ein offener Streit. Die EU- Kommission sieht in diesen zwei Staaten die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr und macht zunehmend Druck, besonders mit Drohungen finanzieller Natur und mit Vertragsverletzungsverfahren. „Die Rechtsstaatlichkeit ist ein Grundwert der EU und fundamental für das Funktionieren der EU“. Und da gebe es mittlerweile ernsthafte Probleme mit Ungarn und Polen. Daher sei es „höchste Zeit für Druck“ auf diese beiden Staaten, meinte z. B. ein für Carnegie Europe tätiger Österreicher. Polen nahm wegen des Drucks aus Brüssel Teile seiner umstrittenen Justizreform zurück. Gegen beide Länder eröffnete die EU- Kommission aber Verfahren wegen der Verletzung der Grundrechte von LGBTIQ. In Polen geht es um sogenannte „LGBT- freie Zonen“ und in Ungarn um ein sogenanntes „Anti- Schwulen- Gesetz“. Die EU- Kommissionspräsidentin sagte: „Europa wird niemals zulassen,dass Teile unserer Gesellschaft stigmatisiert werden …“ Auch hier muss wieder einmal klargestellt werden, dass Frau von der Leyen mit Europa natürlich die EU meinte.

  Der letzte Streich der EU- Kommission in diesem Streit erfolgte jetzt. Brüssel machte jetzt das wahr, was alle in der EU, die mit den widerspenstigen Polen und Ungarn keine richtige Freude haben, längst forderten: Es wurden Zahlungen an die beiden Länder gestoppt. Einige Kritiker behaupten ja schon lange, Polen und Ungarn seien „Rosinenpicker“, die die Hand aufhalten und nach Milliarden schreien – bezahlt von den Nettozahlern – aber sich nicht fügen wollen. Und jetzt ist es so weit. Jetzt heißt es aus Brüssel sinngemäß: Wenn ihr Geld von uns wollt, dann habt ihr gefälligst nach unserer Pfeife zu tanzen. Also tanzt schön, denn ihr wollt Geld. Und die Kommission kann da was tun bei generellen Fördermitteln oder aber beim Corona- Wiederaufbaufonds. Die Kommission hat sich für die Corona- Hilfen entschieden und da geht es um viel Geld. Für Ungarn sind 7,2 Milliarden vorgesehen und für Polen sogar 36 Milliarden. (Zur Information: Für Österreich als Nettozahler gibt es etwa 3,4 Milliarden). Und diese mit einem Ultimatum bis Mitte August in Frage gestellten Gelder waren der Grund, dass Polen einen Teil seiner umstrittenen Justizreform zurücknahm. Polen lässt außerdem vom Verfassungsgericht prüfen, ob nationales polnisches Recht über EU- Recht steht. Bei Ungarn läuft es ähnlich. Dort heißt es aus Brüssel: „Natürlich schauen wir uns auch Rechtsstaatlichkeitsbedenken an, die im Fall von Ungarn identifiziert wurden“. Aber offiziell geht es in erster Linie bei beiden Ländern um den Corona- Aufbauplan, von dem Brüssel die Auszahlung der Gelder abhängig macht.

  Der Corona- Wiederaufbaufonds wurde geschaffen, um die finanziellen Schäden durch die Lockdowns und andere Maßnahmen zu mildern und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Dafür mussten aber die einzelnen Staaten in Brüssel Aufbaupläne zur Begutachtung einreichen. Es war nie vorgesehen, die Auszahlung der Fondsgelder von der Rechtsstaatlichkeit und von der völligen Akzeptanz der Brüsseler Vorgaben abhängig zu machen. So gesehen, könnte man sagen, dass Polen und Ungarn von der EU- Kommission erpresst werden. Ist diese Vorgangsweise vereinbar mit den „Grundwerten der EU“?