Unsere Politiker sind trotz oder vielleicht sogar wegen des Ukraine- Krieges wieder viel auf Reisen. Vor ein paar Tagen war Kanzler Nehammer beim EU- Sondergipfel in Frankreich, im Schloss Versailles. Bei diesem Gipfel herrschte übrigens Handyverbot. Das sei deswegen, so ein Sprecher des französischen Präsidenten Macron, damit die Diskussionen vertraulich bleiben. (Ist diese Maßnahme etwa eine Folge des österreichischen Chat- Skandals?) Hauptthema beim Gipfel waren neue Sanktionen gegen Russland und allesamt zeigten sie sich wegen des Krieges besorgt. Sie liefern aber Waffen an die Ukraine, um den Krieg auszuweiten und haben nichts dagegen, wenn eigene Staatsbürger als Söldner der ukrainischen Armee beitreten. Unverantwortlich. Auch die russischen Gaslieferungen in die EU waren ein Thema. Viel hitziger ging es aber bei der Diskussion um einen EU- Beitritt der Ukraine zu. Die Ukraine fordert ja eine sofortige EU- Aufnahme. Die Ukraine fordert aber nicht nur das.

  Der Kurzzeit- Statthalter- Kanzler und „Vorher- schon- und- jetzt- wieder- Außenminister“, Herr Schallenberg, war mit einer ihn begleitenden Wirtschaftsdelegation in Pakistan. Bei einem Treffen mit seinem pakistanischen Amtskollegen warnte er davor, den Ukraine- Krieg als „rein europäischen Krieg“ zu sehen, denn dieser Krieg habe „Auswirkungen auf die ganze Welt“ und berge die Gefahr eines Weltkrieges in sich. Er konfrontierte seinen pakistanischen Amtskollegen dann damit, dass Pakistan jüngst bei der UNO- Generalversammlung, bei der eine Resolution zur Verurteilung des russischen Angriffs angenommen wurde, sich der Stimme enthielt. Der Außenminister des (angeblich noch) neutralen Österreichs rügt also den Außenminister eines souveränen Staates, weil der bei der UNO nicht für eine Verurteilung Russlands stimmte. Gerade dass er nicht fordert, dass Pakistan selbstverständlich so abzustimmen hat wie Österreich. Er möchte zwar Geschäfte machen mit Pakistan, aber er maßregelt den Außenminister, weil der anders abstimmt als von Österreich erwünscht. Diplomatisch ist das sicher nicht und das wird der langjährige Diplomat aus adeligem Hause auch wissen. Warum aber macht er es dann?

  Jetzt war Kanzler Nehammer auf Staatsbesuch in Serbien, von wo er weiterreist nach Bosnien- Herzegowina und in den Kosovo. Dieser Besuch in Serbien war irgendwie eine Werbeaktion für die (oder im Auftrag der) EU. Ist doch Serbien einer jener Westbalkanstaaten, die einerseits in die EU wollen und andererseits einigen EU- Staaten, darunter Österreich, das Aufnahmeprozedere viel zu lange dauert. Schon Ex- Kanzler Kurz sagte, dass „die EU erst mit dem Beitritt der Westbalkan- Staaten komplett sein wird“ und diese Meinung vertritt auch Kanzler Nehammer. Nur; die Balkanstaaten sind aus vielerlei Gründen nicht EU- reif, so wie es auch einige EU- Staaten nicht sind. Und Serbien, seit 2012 Beitrittskandidat, pflegt auch enge Kontakte zu Russland. Durch den von Russland begonnenen Krieg in der Ukraine wurden die EU- Politiker aufgescheucht. Sie fürchten plötzlich, dass Russland in Serbien seinen Einfluss vergrößern könnte – dort gibt es pro- russische Demos und Serbien beteiligt sich auch nicht an den Sanktionsorgien des Westens gegen Russland. Den EU- Politikern bereitet es auch Sorgen, dass China am Balkan wirtschaftlich immer mehr Fuß fasst. Deshalb ist Kanzler Nehammer jetzt auf Werbetour und soll versuchen, vorerst Serbien näher an die EU zu bringen. Das wird aber nicht einfach sein. Religion und Kultur sind verbindende Elemente zwischen Serbien und Russland. Und natürlich auch die Wirtschaft und Öl und Gas. Und Serbien wird sicher auch genau beobachten, wie Brüssel jene Staaten behandelt, die sich nicht immer dem Diktat Brüssels beugen, wie z. B. das Nachbarland Ungarn. Und Serbien hat ganz sicher noch nicht vergessen, dass die NATO 1999 während des Jugoslawien- Krieges Serbien bombardierte, einige der größten Kriegstreiber EU- Staaten waren, wie z. B. Deutschland. 19 NATO- Staaten unter der Führung der USA begannen damals mit 200 Flugzeugen, militärische und zivile Ziele zu bombardieren. Die Mehrheitsmeinung ist schon lange, dass damals die NATO einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führte. Die NATO, die sich so gerne selbst als Verteidigungsbündnis bezeichnet. Die gleiche NATO, die in der Ukraine mit Waffenlieferungen auf eine Ausweitung des Krieges mit Russland hinarbeitet. Fast alle EU- Staaten sind Mitglieder der von Serbien verhassten NATO. Ein Grund mehr für Serbien, der Umwerbung durch die EU nicht nachzugeben, auch wenn viel versprochen wird.

  Übrigens: Der englische Diplomat Sir Henry Wotton sagte einst: „Ein Botschafter ist ein ehrenwerter Mann, der ins Ausland geschickt wird, um zum Besten seines Landes zu lügen“.