Der Streit zwischen der EU- Kommission und Ungarn ist eigentlich schon ein alter Hut. Genau genommen geht es in diesem Streit  – da geht es um verschiedene Themen – aber nicht einfach so gegen das EU- Mitgliedsland Ungarn, sondern da geht es gegen den ungarischen Ministerpräsidenten Orban. Der ist für Brüssel so etwas wie ein rotes Tuch, der reizt die dortigen Bürokraten bis zur Weißglut. Er gewinnt eine Wahl nach der anderen und das auch noch mit überwältigender Mehrheit. Nicht einmal die vereinte Opposition kommt gegen ihn an. Aber aus der Sicht der „Brüsselokraten“ ist er der falsche Kandidat, den die Ungarn wählen. Weil er kein Ja- Sager ist. Weil ihm anscheinend Ungarn wichtiger ist als Brüssel (sonst würden ihn die Ungarn wohl nicht wählen). Ungarn gehört auch zu den sogenannten Visegrad- Staaten – das sind Polen, Tschechien, die Slowakei und eben Ungarn – die immer wieder mit Brüssel anecken. Das war schon so unter dem vormaligen Kommissionspräsidenten J.- C. Juncker, der Orban bei einem EU- Gipfel mit den Worten begrüßte: „Da kommt der Diktator“. Und das ist bei der jetzigen EU- Regentin von der Leyen genau so. Orban eckte an, weil er George Soros, den ungarisch- stämmigen Milliardär und Unterstützer von sogenannten „Farbrevolutionen“, mit seiner Universität, der CEU (Central European University) aus Ungarn vertrieb. (Der damalige österreichische Kanzler Kurz holte die CEU bereitwillig nach Wien). Dann wurde Orban vorgeworfen, er würde in Ungarn die Meinungsfreiheit abschaffen und die Medien unter Zensur stellen. Während der Corona- Zeit kam dann der Vorwurf, er würde mit Notstandsgesetzen das Parlament außer Kraft setzen. Ganz besonders angekreidet wird ihm aber die Flüchtlingspolitik. Deswegen hat die EU- Kommission auch ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet; solche Verfahren laufen aber noch einige andere. Die ungarische Regierungspartei, also Orbans Partei Fidesz, war im EU- Parlament Mitglied der EVP, der Europäischen Volkspartei. Diese Mitgliedschaft war seit dem Frühjahr 2019 ruhend gestellt, die Abgeordneten hatten kein Stimmrecht mehr. Grund war das mißliebige Verhalten der Fidesz- Partei – aus Sicht der EVP. Da wurde der Kampf gegen den Rechtsstaatsmechanismus angeführt oder der Entzug einer Sendelizenz des angeblich letzten unabhängigen Radiosenders. Dann gibt es auch noch eine Provokation eines Fidesz- Abgeordneten; der warf dem EVP- Chef Weber Gestapo- Methoden vor. Letztendlich wurden in der EVP Maßnahmen ergriffen, die einen Ausschluss der Fidesz- Partei aus der EVP ermöglicht hätten. Dem kam Orban mit einem Schreiben zuvor, in dem er den sofortigen Austritt ankündigte. Das war im März 2021.

  Da aus Sicht der EU- Kommission Ungarn mit herkömmlichen Methoden  wie gut zureden oder ins Gewissen reden nicht „auf Kurs“ zu bringen ist, kommt jetzt Geld ins Spiel. Da geht es um Milliarden. Die Auslösung des Rechtsstaatsmechanismus ermöglicht die Sperrung von Haushaltsgeldern und dann wurden auch Gelder aus dem Corona- Wiederaufbaufonds gesperrt; wegen Rechtsstaatsverstößen und Korruption, wie es hieß. Nur; da gibt es EU- Länder, die laut Korruptionswahrnehmungsindex viel schlimmer sind. Als Folge dieser Geldsperren mussten in Ungarn von der Regierung schon Sozialprogramme gekürzt werden. Was aber ganz besonders für Ärgernis in Brüssel sorgt, ist der Umgang von Orban mit dem Ukraine- Krieg. Er verurteilte zwar den Angriff Russlands, hält aber nichts von Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen an die Ukraine. Er untersagte – als NATO- Mitglied – sogar Waffentransporte durch Ungarn in die Ukraine. Das ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass es in der Ukraine eine große ungarische Minderheit gibt. Da Ungarn sehr stark von russischem Öl abhängig ist, setzte er Ausnahmeregeln beim EU- Ölembargo durch und auch jetzt, nachdem die Ukraine wegen Zahlungsproblemen bei den Transitgebühren für Öl den Hahn zudrehte, klärte Ungarn die Situation  und übernahm die Zahlungen. Und beim russischen Gas fuhr Orban gegen den Willen Brüssels nach Moskau und kaufte große Mengen an zusätzlichem Gas.

  Das Ganze schaut nach einem Machtkampf aus zwischen der EU- Kommission und Viktor Orban. Sicher ist nur, dass Ungarn die EU nicht verlassen wird – Ungarn ist Netto- Empfänger – und die Kommission wird Ungarn nicht hinauswerfen. Auch wenn es in Brüssel heißt: „Orban macht sich mit EU- Geldern die Taschen voll“. Ein grüner EU- Abgeordneter forderte mit Blick auf Orban auch schon: „Eine undemokratische Regierung darf im Rat nicht mitentscheiden“. Aber dieser Grüne ist vielleicht auch deshalb sauer, weil in Ungarn die Regenbogen- Aktivitäten nicht besonders populär sind und im Gegensatz dazu die Familie einen höheren Stellenwert genießt.

Solange es in der EU bei vielen Abstimmungen noch das Einstimmigkeitsprinzip gib, hat Orban gute Chancen, seinen Weg fortsetzen zu können. Weil er Abstimmungen blockieren kann. Was er ja auch öfters macht oder androht. Sobald das Einstimmigkeitsprinzip fällt – und es wird schon darüber diskutiert – wird auch Orban zum Ja- sagen gezwungen. Falls für die EU in nächster Zeit nicht größere Probleme auftauchen, die den Streit mit Ungarn in den Hintergrund drängen werden. Und solche Probleme sind nicht auszuschließen.