Das mit den „Werten“ und der selbstgefälligen Einschätzung, dass die EU der „Nabel der Welt“ sei und alles und alle sich nach ihr zu richten hätte(n), kann ganz kräftig ins Auge gehen. Das musste jetzt – wieder einmal – der sogenannte „Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik“, also so etwas wie der EU- Außenminister, der werte Herr Josep Borrell also, schmerzhaft zur Kenntnis nehmen. Der Grund dafür war, dass der werte Herr Borrell einen Brief an das EU- Parlament schrieb. Er kritisierte darin die Türkei und schrieb, dass diese sich „den restriktiven Massnahmen der EU gegen Russland nicht anschließt, was zunehmend Anlass zur Sorge gibt“. Er kritisierte aber auch die seiner Meinung nach zu enge Partnerschaft der Türkei mit Russland. Über diese Kritik an der Türkei haben übrigens viele Medien berichtet.
Auf einige Länder außerhalb der EU und vielleicht auch außerhalb Europas mag die EU eventuell so viel Druck ausüben können, dass sie sich entgegen ihrer Überzeugung den Sanktionen anschließen. Viele werden das aber nicht tun, denn mehr als 50 oder 60 Staaten insgesamt tragen die Sanktionen nicht mit. Das heißt, etwa 140 oder 150 Staaten weltweit haben kein Interesse, sich an den von EU und USA (oder umgekehrt) verhängten Sanktionen zu beteiligen. Und zu denen gehört eindeutig die Türkei und deren Präsident Erdogan war gar nicht erfreut über die Kritik Borrells an der türkischen Politik und verpasste Borrell eine schallende mediale Ohrfeige. In einem Gespräch mit Journalisten sagte Erdogan bezüglich Borrell: „… Mit anderen Worten, Borrell kann unsere Beziehung zu Russland nicht bestimmen oder regulieren. Er hat weder die Qualität noch die Fähigkeit, eine solche Entscheidung in dieser Angelegenheit zu treffen. wer ist er, dass er unsere Beziehung zu Russland in Bezug auf Sanktionen beurteilen kann?“
Erdogan wies auch darauf hin, dass die Türkei als wichtiger Vermittler zwischen Russland und der Ukraine auftrete und maßgeblich daran beteiligt war, dass die Ukraine wieder Getreide exportieren darf. Dazu sagte er: „Woher kommen 44 Prozent des europäischen Getreides? Über das Schwarze Meer. Wer ist der Vermittler in dieser Angelegenheit? Die Türkei. Hat er [Borrell] sich dafür bedankt? Nein. Alle europäischen Staats- und Regierungschefs danken uns und er stellt sich hin und gibt eine solche Erklärung ab“.
Nicht uninteressant in dem Zusammenhang ist ja auch, dass in der Türkei ein Gasknotenpunkt, beliefert mit russischem Gas, für Südeuropa entstehen soll. Denn die EU wird noch lange Gas brauchen, nicht nur Flüssiggas aus den USA und vielleicht aus Katar. Die Türkei will aber auch mit Russland und Syrien zusammenarbeiten, um die terroristische Bedrohung nicht nur für die Türkei abzuschwächen, und sagte dazu: „Unsere Geheimdienste sollten zusammenkommen, dann unsere Verteidigungsminister und dann unsere Außenminister“. Auch diese Zusammenarbeit wird der EU nicht schmecken.