Da hat er sich was eingehandelt! Macron, der gerne der neue französische Sonnenkönig wäre oder auch ein neuer Napoleon, möchte schon seit Wochen von den „hausinternen“ Problemen in Frankreich ablenken. In Frankreich geht es ja seit Wochen drunter und drüber wegen der von ihm, am Parlament vorbei, durchgepeitschten Pensionsreform. Streiks, Demonstrationen und Krawalle sind die Folgen und lähmen das Land und sorgen für Negativ- Schlagzeilen. Da kam er – nicht ganz uneigennützig denkend – auf die Idee, der EU- Öffentlichkeit ein neues Thema zu unterbreiten. Dieses Thema mag das Ergebnis einer Nachdenkphase über die aktuelle Situation in Europa (nicht nur in der EU), über den Ukraine- Krieg und alles dahinter und rundherum und natürlich auch über die USA, Russland, China sein. Kurzum: Macron forderte nicht mehr und nicht weniger als mehr Souveränität. Die EU müsse souveräner auftreten. Die EU müsse die eigenen Interessen und Ziele autonomer verfolgen. Sich auch nicht in den schärfer werdenden innerchinesischen Konflikt zwischen China und Taiwan (die EU sieht Taiwan als Teil Chinas) und noch viel weniger in den scheinbar unvermeidbaren Konflikt zwischen USA und China hineinziehen lassen.

  Diese Forderung nach mehr Autonomie, mehr Souveränität, ist wahrscheinlich auch der Tatsache geschuldet, dass nicht mehr zu übersehen ist, wie die EU unter den

Folgen des Ukraine- Krieges zu leiden hat, während die USA unbestreitbar Nutznießer sind. Mit den Sanktionen gegen Russland steht die EU ziemlich alleine da, neben den USA und einigen handverlesenen Ländern dazu. Sollte es zu einer Ausweitung des Ukraine- Krieges kommen – die USA und die NATO, das sind u. a. fast alle EU- Staaten, arbeiten intensiv daran – dann schwappt der auf das Gebiet der EU über und nicht auf die USA. Dazu wird ja schon lange von einer Vereinbarung zwischen USA und Sowjetunion bzw. Russland gesprochen, derzufolge der nächste große Krieg auf europäischem Boden ausgetragen wird (und damit war sicher nicht der Balkan- Krieg gemeint). Auch das Flüchtlingsproblem mit all seinen Folgen trifft die EU und nicht die USA.

  Unter diesen Gesichtspunkten wäre eine souveräne EU sicher von Vorteil. Gemachte Fehler könnten zwar nicht ungeschehen gemacht werden, aber neue Fehler könnten vermieden werden. Vorausgesetzt, bei einer einigermaßen intelligenten Führung. Vielleicht fiel Macron aber auch ein, dass die USA die europäischen Staaten als „tributpflichtige Vasallen“ sehen und so behandeln. Und dann kam eben noch dazu, dass die Europäer, die sich selbst als „Verbündete“ und „Partner“ der USA sehen, von den USA ausspioniert werden, wie die jetzigen Leaks beweisen. Macron hat es also vielleicht wirklich gut gemeint, als er mehr Souveränität einforderte. Aber gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht, wie sich zeigte. Die Transatlantiker schäumen vor Wut wegen der Aussagen Macrons, dass die EU sich außenpolitisch weder den USA noch China unterordnen soll. Die Transatlantiker wollen die unipolare Weltordnung unter der Führung der USA verteidigen – auch für den Preis, selbst ein Vasall in Abhängigkeit zu sein. Und Macron, so scheint es, ist offen für eine multipolare Weltordnung, bei der die USA (obwohl an Einfluss verlierend), China, Indien, Russland, EU, global etwa gleich viel oder gleich wenig zu sagen haben. Als mehr oder weniger gleichberechtigte Partner dastehen. Macron spielt da sicher auch mit dem Gedanken, dass eine gewisse Souveränität eine Aufwertung der EU bedeuten würde (und innerhalb dieser eine Aufwertung Frankreichs).

  Macron hat sich wirklich was eingehandelt, denn gerade Deutschland hält nichts von einer souveräneren EU. Der CDU- Mann Röttgen meinte entsetzt: „Macron scheint von allen guten Geistern verlassen“ und warf ihm sogar eine „Annäherung an China“ vor. Ein SPD- Mann erklärte, gegenüber China müsse „der Westen, also Europa und die USA, immer versuchen, gemeinsam aufzutreten, nicht gespalten“. Ein FDP- Mann meinte, Macrons Aussagen würden von keiner klugen Strategie künden, denn „wir leben in einer gefährlichen Welt. USA und Europa sollten daher eng zusammenarbeiten“. Auch der EVP- Vorsitzende, der Deutsche Weber, zeigte sich entsetzt und meinte, wer für „Freiheit und Demokratie“ eintrete, sei kein Mitläufer. Außerdem würden sich, so meinte er, die EU- Staaten unglaubwürdig machen, wenn man „einerseits Souveränität für Europa einfordert und dann jeden Wirtschaftsdeal mit China abschließt, den man kriegen kann“. Und in einer österreichischen Tageszeitung kann man lesen: „Macrons Vollbad im Fettnapf – Frankreichs Präsident hat etwas Furchtbares angerichtet: Seine Forderung nach mehr Eigenständigkeit Europas, u. a. durch Abkoppelung von der „Vorherrschaft der USA“, hat im Westen eine Empörungswelle ausgelöst. Macron hat mitten im Krieg eine tiefe Kluft durch Europa aufgerissen. Besonders zu Deutschland, welches seine engen Beziehungen zu den USA niemals aufgeben würde …“

  Es heißt: „Die glücklichsten Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit“. Eigenständigkeit und Souveränität bedeutet Freiheit.

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