Seit Tagen gibt es in Kasachstan blutige Proteste. Das, was anfangs passierte, konnte man aber schwer als Proteste oder Demonstrationen bezeichnen, das war eher als Aufstand gegen das autoritäre System zu sehen. Auslöser war, so hieß es, eine Erhöhung der Treibstoffpreise bzw. des Flüssiggaspreises. Vom plötzlichen Ausbruch der Gewalt wurde nicht nur die kasachische Regierung überrascht, sondern auch das Ausland; das sah angeblich niemand kommen. Die Proteste schienen koordiniert gestartet worden zu sein. Plötzlich waren die Massen da, Regierungsgebäude brannten, Polizei und militärische Einheiten kapitulierten vorerst. Das Ganze schien ein Umsturzversuch zu sein und ob es die ersten Toten durch Schusswechsel bei den Sicherheitskräften wie bei den Aufständischen (oder doch Demonstranten?) schon vor dem offiziellen Schießbefehl gab, ist nicht gesichert. Fest steht jedenfalls, dass auch viele Sicherheitskräfte ums Leben kamen. Bis jetzt sind laut kasachischer Regierungsangaben jedenfalls insgesamt 164 Menschen getötet und mehr als 2.200 verletzt worden. Medien berichten auch, dass mehr als 5.000 Menschen im Zusammenhang mit den Unruhen festgenommen wurden. Die kasachische Regierung ersuchte Russland bzw. die von Russland geführte OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) um Unterstützung. Das ist eine Organisation von 6 ehemaligen Sowjetrepubliken, zu denen auch Kasachstan gehört. Auch in dieser Organisation gibt es eine Beistandsklausel und Russland schickte auch Spezialeinheiten als Friedenstruppe nach Kasachstan, um die Ordnung aufrecht zu erhalten bzw. wiederherzustellen.

  Aus Kasachstan war dann auch sehr schnell zu hören, dass die Unruhen von ausländischen „terroristischen Gruppen“ angezettelt worden wären, um die Regierung zu stürzen. Westliche Regierungen sehen das naturgemäß anders. Der österreichische Außenminister sprach von „friedlichen Demonstranten“ in Kasachstan und das deutsche Auswärtige Amt bekrittelte, dass dort die Versammlungsfreiheit verletzt werde und das Internet und soziale Medien weiterhin massiven Einschränkungen unterliege. Außerdem müsse die Gewalt, die schon viele Opfer forderte, umgehend beendet werden.

  Ob die Demonstranten der Forderung nach Gewaltverzicht nachkommen, wird sich weisen. Bezüglich der kasachischen Behauptung, dass ausländische „terroristische Gruppen“ hinter dem blutigen Aufruhr stecken, sollte eines nicht außer acht gelassen werden: Kasachstan grenzt an Russland und an China und Kasachstan ist eines von wenigen Ländern im Fernen Osten bzw. in Zentralasien, in dem es noch keinen militärischen Stützpunkt der USA gibt. Auch ein anderer Punkt sollte nicht außer acht gelassen werden: Die riesige ehemalige Sowjetrepublik verfügt über große Rohstoffvorkommen, u. a. von Erdgas, Erdöl, Steinkohle, Uran usw. Und Öl und Gas ist nicht nur für die USA immer von Interesse. Von größerem strategischen Interesse ist aber Uran. Kasachstan war 2017 die Nummer 1 unter den weltweiten Uranförderländern mit etwa 23.000 Tonnen und die USA waren 2017 die weltweite Nummer 1 unter den Uranverbrauchern mit etwa 19.000 Tonnen bei einer Förderung von weniger als 2.000 Tonnen. Russland wiederum fördert etwa 3.000 Tonnen und verbraucht etwas mehr als 5.000 Tonnen. Ohne kasachisches Uran hätte Russland ein Problem, seinen Bedarf für AKW´s und Kernwaffen zu decken. Und Frankreich beispielsweise ist weltweit der zweitgrößte Verbraucher nach den USA mit mehr als 9.000 Tonnen ohne eigene Förderung und bezieht das benötigte Uran u. a. von afrikanischen Staaten wie z. B. Niger. Mit einem Umsturz in Kasachstan und der Installierung einer neuen, dem Westen zugeneigten Regierung könnte Russland geschwächt werden und Staaten wie z. B. die USA oder Frankreich könnten, was Uran betrifft, die Nutznießer sein. So gesehen, sind die kasachischen Behauptungen, dass ausländische Gruppen hinter der Revolte stecken, nicht ganz von der Hand zu weisen. In anderen Ländern, wie z. B. in der Ukraine oder Georgien, haben sich solche Behauptungen und Vermutungen ja bestätigt.

  Und wenn es, wie schon erwähnt, Vorwürfe gegen die Kasachen gibt, weil der Zugang zu Informationen und sozialen Medien massiv eingeschränkt wurde: In westlichen Ländern erledigen das Facebook, Twitter usw. mit Löschungen und Sperren unliebsamer Informationen und Nachrichten. Und um die gewalttätigen Randalierer in Kasachstan als „friedliche Demonstranten“ zu bezeichnen, bei uns aber ruhige Impf- Demonstranten als gewalttätige Rechtsradikale und Neonazis usw. zu schimpfen, erfordert mehr als nur auf einem Auge blind zu sein. Und was den Schießbefehl auf die gewalttätigen und bewaffneten „Demonstranten“ betrifft, ist der selbstverständlich zu verurteilen und jedes einzelne Todesopfer, egal auf welcher Seite, ist eines zu viel. Aber eines sollte bei dem Thema nicht vergessen werden: Im Vertrag von Lissabon heißt es unter: „Grundrechtecharta und Beitritt zur Europäischen Menschenrechtscharta“ bei den Erläuterungen zu Art.2 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention: „Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um ….“

„c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen“. Und was sonst als Aufruhr oder Aufstand ist das jetzt in Kasachstan?
Das heißt, auch in der EU dürfte in so einer Situation wie in Kasachstan ein Schießbefehl erteilt werden. Auch wenn das äußerst unwahrscheinlich wäre. Es kann aber niemand in die Zukunft blicken.