Kiew bzw. Butscha ist für westliche Politiker zu so etwas wie einem „Hotspot“ geworden für „Kriegsverbrecher- Ankläger“. Alle meinen, dort gewesen sein zu müssen und gefühlte 50 EU- Politiker dürften mittlerweile dort gewesen sein. Zum Pflichtprogramm gehört, sich in den Medien mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu zeigen und mit Klitschko, dem Bürgermeister von Kiew und vielleicht auch mit dem zweiten Klitschko, der jetzt immer häufiger in den Medien ist, und dem Ministerpräsidenten Schmyhal.

  Dass der Krieg in der Ukraine eine Katastrophe ist, nicht nur für die ukrainische Bevölkerung, steht außer Frage und dass die Kriegsverbrechen von unabhängiger Seite (wer käme da in Frage?) aufgeklärt und die Verbrecher vor ein dafür zuständiges Gericht gestellt werden müssen, soll für alle Seiten eine Selbstverständlichkeit sein. Die brennenden Fragen dazu aber lauten: Wer sind die Mörder wer sind die Opfer, warum wurden sie ermordet? Beide Kriegsparteien behaupten, eindeutige Beweise für die Schuld der jeweils anderen Seite vorlegen zu können und auch im Netz geistern Videos, Bilder und Artikel in großer Menge herum, die einmal die Ukraine und einmal Russland für die Kriegsverbrechen verantwortlich machen wollen.

  In Kiew und butscha, aber auch in vielen EU- Staaten, wird häufig, indirekt und auch ganz offen und direkt, Russland der Kriegsverbrechen beschuldigt. Das ist eine gefährliche und unüberlegte – oder provozierende – Vorgangsweise. Wie man jetzt den Besuch der EU- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einstufen soll, ist jedenfalls schwierig. Von der Leyen war ja, bevor sie Kommissionspräsidentin wurde, deutsche Verteidigungsministerin. Da nimmt man ihr als einziger Person das entsetzte Gesicht angesichts der schwarzen Leichensäcke, vor denen sie samt einer Hundertschaft von Politikern und Soldaten steht, nicht ab. Wobei „ganz zufällig“ die Kamera genau ihr gegenüber positioniert war. Man könnte ihr unterstellen (und das tun viele), dass dieser Auftritt billige und peinliche Schauspielerei war. (Es wird schon von „Leyenschauspiel“ gesprochen). Was aber mindestens so schlimm war: Vor den Leichensäcken sagte sie: „Das Undenkbare ist hier geschehen. Wir haben das grausame Gesicht von Putins Armee gesehen …“ Im Klartext heiß das: Russische Soldaten sind die Kriegsverbrecher. Nur; einen offiziellen und belastbaren Beweis gibt es (noch) nicht.

  Schlimmer noch als der Auftritt der Kommissionspräsidentin ist aber jener des sie begleitenden Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell. Dieser nette Kerl twitterte nämlich nach seinem Besuch bei Selenskyj und Schmyhal am 9. April nachmittags: „Berührt von der Unverwüstlichkeit, Entschlossenheit und Gastfreundschaft von Zelenskyy und Denys Shmyhal. Ich kehre mit einer klaren To- Do- Liste zurück. 1 Dieser Krieg wird auf dem Schlachtfeld gewonnen werden. Zusätzliche 500 Millionen euro aus dem EPF sind in Arbeit. Die Waffenlieferungen werden auf die ukrainischen Bedürfnisse zugeschnitten sein.“ EPF steht für „European Peace Facility“ (Europ. Friedensfazilität). Das ist (laut EU- Seite) ein „außerbudgetäres Instrument, das die Fähigkeit der EU stärkt, als globaler Sicherheitsgeber zu agieren …“

Josep Borrell Fontelles

@JosepBorrellF

Touched by the resilience, determination and hospitality of @ZelenskyyUA & @Denys_Shmyhal. I return with a clear to do list: 1. This war will be won on the battlefield. Additional €500 million from the #EPF are underway. Weapon deliveries will be tailored to Ukrainian needs.

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3:04 nachm. · 9. Apr. 2022

Dieser werte Herr Borrell schreibt also klipp und klar, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld gewonnen wird. Und das sagt einer der höchsten Vertreter der „Friedensunion“, die auch schon den Nobelpreis bekommen hat. Dann braucht man sich natürlich nicht zu wundern, dass der ukrainische Präsident weder an Waffenstillstands- noch an Friedensverhandlungen interessiert ist. Würde die EU hingegen garantieren, dauerhaft und glaubwürdig, dass die Ukraine ein neutraler und blockfrieer Staat ohne ausländischem Militär und ohne Massenvernichtungswaffen wird, wäre der Krieg wahrscheinlich sofort vorbei, Denn diese Punkte sind, neben der „Entnazifizierung“, die Forderungen Russlands. Und die „Entnazifizierung“ ist zum Teil schon erledigt. Allerdings will aktuell auch Russland nicht unbedingt Frieden schließen; es braucht einen Sieg, nach Möglichkeit einen militärischen Sieg und keinen durch Verhandlungen. Gegen ein Ende des Krieges sind ja auch die USA. Die haben ja 2014 mit viel Geld den Putsch in die Wege geleitet und haben seither die Ukraine ausgerüstet und ausgebildet und Präsident Biden sagte letztens auch, den Ukraine- Krieg betreffend: „Und übrigens, wenn ich in den Krieg ziehen muss,dann gehe ich mit euch – ich meine es ernst“. Gegen ein Ende des Krieges ist auch die NATO, das zeigen auch die Waffenlieferungen an die Ukraine Gegen ein Ende des Krieges ist auch die EU. Das zeigte eben Borrell mit seinem Tweet, das zeigen die Russland- Sanktionen- auch zum eigenen Schaden, das zeigen Waffenlieferungen, das zeigen die Ausweisungen von russischen Diplomaten. Die EU legt sich freiwillig zwischen den ukrainischen Amboss und den russischen Hammer. Warum eigentlich?

  Übrigens; vor ein paar Tagen sagte der deutsche Bundeskanzler Scholz: „Und schließlich werden wir den Druck auf Russland weiter erhöhen, zum Beispiel mit Sanktionen, die wir auf den Weg gebracht haben. Die sind lange vorbereitet, lange bevor der Krieg ausgebrochen worden, ausgebrochen ist, haben wir darüber gesprochen.“ War das wirklich nur ein Versprecher und hieß es nicht immer, die scharfen Sanktionen wurden wegen des Krieges beschlossen? Und jetzt heißt es plötzlich, die wurden über Monate hinweg bis ins kleinste Detail vorbereitet.