Der kleine EU- Staat Litauen ist mit illegalen Migranten, die von Weißrussland kommen, überfordert. Seit Jahresbeginn sollen es schon 1.700 gewesen sein und jetzt gibt es angeblich schon 100 Aufgriffe pro Tag. Als Reaktion auf diese „unhaltbaren Zustände“ wurde der Notstand verhängt und dann hieß es vor ein paar Wochen, dass Litauen einen Grenzzaun zu Weißrussland bauen will, um Flüchtlinge und Migranten am Grenzübertritt zu hindern; möglicherweise sind die Arbeiten schon angelaufen. Und das Parlament genehmigte Massenverhaftungen von illegalen Migranten mit einer Mindesthaft von 6 Monaten. Außerdem wurden die Einspruchsrechte von abgelehnten Asylanträgen eingeschränkt. Da soll jetzt also auf die harte Tour – oder ist es doch ganz einfach die richtige Vorgangsweise? – der Zustrom von Migranten unterbunden werden. Nicht reduziert, sondern gestoppt, auf Null gebracht werden. Und um das wirklich zu erreichen, will auch Österreich seinen Anteil leisten. Wie verlautbart wurde, will unser wackerer Innenminister Nehammer mit Anfang August 13 Mann der Polizei- Spezialeinheit „Cobra“ samt einem gepanzerten Fahrzeug an die litauisch- weißrussische Grenze entsenden, damit sie sich mit den litauischen Grenzwächtern wagemutig den illegalen Eindringlingen entgegenstellen und diese nach der Festnahme in den litauischen Kerker werfen. Denn diese Invasoren sind nach litauischer Auffassung keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten. Was vielleicht nicht für alle, aber zweifelsfrei für den Großteil der Grenzgänger zutrifft.

  Ob die österreichischen Cobra- Leute die einzigen ausländischen Helfer sind, die den Litauern zur Seite stehen, ist nicht bekannt. Interessant wäre aber schon zu wissen, ob sich z. B. die Nachbarn Lettland und Polen bei der Grenzsicherung beteiligen. Innenminister Nehammer hätte nämlich – unabhängig davon, ob die paar entsandten Cobra- Leute nur als symbolische Hilfestellung gedacht sind oder ob tatsächlich erwartet wird, dass sie z. B. einen Grenzabschnitt „sauber“ halten – in Österreich zum gleichen Thema mehr als genug zu tun. Es ist für ihn zwar „selbstverständlich, im Kampf gegen illegale Migration solidarisch an der Seite der EU- Partner zu stehen“. Diese Selbstverständlichkeit vermisst man aber bei ihm an den österreichischen Grenzen. Da spricht er zwar mit grimmiger Miene davon, die Grenzen dicht zu machen. Den Worten folgen aber keine Taten. Der Minister verhandelt lieber mit den Bosniern, damit die für ihn diese Arbeit erledigen. Im Gegensatz zu Litauen, wo wegen schlimmstenfalls ein paar tausend Migranten – die ohnehin so schnell wie möglich nach Deutschland oder Österreich weiterziehen würden – der Notstand ausgerufen wird, die Leute inhaftiert werden und ein Grenzzaun gebaut wird – kein „Gartentürl mit Seitenteilen“, wie ein österreichischer Kanzler einst sagte – gibt es in Österreich einen Asylantrag und Rundumversorgung und kein Mensch bei den zuständigen Behörden interessiert sich wirklich für gültige Papiere, für das wahre Alter, für den Gesundheitszustand, für die Angaben zur Identität. Und hinterher heißt es nach dem Merkel- Motto: „Jetzt sind sie halt da“. Und wenn jetzt wieder verkündet wird, dass wegen einer drohenden neuen Afghanistan- Fluchtwelle eine massive Aufstockung von Polizei und Soldaten an unseren Grenzen erfolgen wird, dann hat das nichts zu sagen. Es wird ganz sicher, so wie bisher, kein Illegaler zurückgewiesen und Polizei und Bundesheer sind sozusagen das Empfangskomitee, welches die Formulare für Asylanträge verteilt. Und vorher wird mit Drohnen nach den Illegalen Ausschau gehalten, damit sie nicht zu lange auf Wiesen und Feldern herum irren müssen.

  Wenn Österreich tatsächlich die illegale Zuwanderung eindämmen möchte, bräuchten nicht einmal die Grenzen dicht gemacht zu werden. Es würde völlig ausreichen, wenn sich unsere Dampfplauderer z. B. bei den Visegrad- Staaten, in Portugal und in den baltischen Staaten darüber informieren würden, warum dort keine Migranten und Flüchtlinge hinkommen und bleiben wollen. In den drei baltischen Staaten beispielsweise gab es 2020 insgesamt nur 450 Asylanträge, davon 260 in Litauen. Es dürfte wohl am Geld, an den Sozialleistungen und an der rechtlichen Großzügigkeit liegen. Aber um das alles an diese Länder anzupassen, bräuchte unsere Regierung den Willen, was zu ändern – und Rückgrat. Und nochmals zurück zu den Maßnahmen in Litauen. Da wird von Brüssel auf unerklärliche Weise ein Stacheldrahtzaun und Haft für den illegalen Grenzübertritt akzeptiert; es ist kaum zu glauben. Wahrscheinlich, weil es gegen das böse Weißrussland geht. Als 2015 die Ungarn Grenzzäune errichteten, um die Völkerwanderung zu stoppen, war in der EU der Teufel los. Dabei taten die Ungarn nur, wozu sie per Gesetz verpflichtet waren, nämlich die EU- Außengrenze sichern. Auch Griechenland baute einen Zaun an der türkischen Grenze, als der türkische Präsident Erdogan die Grenze für Migranten öffnete und sie zu Zehntausenden mit Bussen an die Grenze karrte. Da waren übrigens auch ein paar österreichische Polizisten im Einsatz.

  Und noch etwas zu den Migranten, die von Weißrussland nach Litauen wollen: Zum einen; warum wollen die nicht nach Polen? Von dort wäre es doch näher nach Deutschland und auch nach Schweden. Und Polen ist doch auch ein EU- Staat. Und zum anderen: Es heißt, der Großteil dieser Migranten kommt aus Zentral- und Westafrika sowie aus dem Nahen und Mittleren Osten. Es ist schon bemerkenswert, dass viele von denen fast eine Weltreise hinter sich haben, bis sie in Weißrussland ankommen; von wo sie dann weiter wollen. Über das Mittelmeer wäre es wohl einfacher und sicherer – und wahrscheinlich auch billiger.

Es heißt: „Die Wege des Herrn sind unergründlich“. Es sind aber auch die Wege der Migranten unergründlich.